Gute Arbeit für alle
Im Anschluss an die Begrüßung und einer kurzen Einleitung von Markus Marterbauer (AK Wien) erfolgten drei kurze Inputs der jeweiligen Ressourcepersonen. Norbert Reuter (ver.di) ging in seiner Präsentation vor allem auf die Situation in Deutschland ein. Seit 2000 sei es zu beachtlichen Zuwächsen in der Arbeitsproduktivität gekommen. Die Produktivitätsfortschrittte der letzten Jahre seien aber weder in kürzere Arbeitszeiten noch in Reallohnsteigerungen geflossen, was sich in einer sinkenden Lohnquote abzeichnet. Stattdessen kam es zu Lohndumping, erhöhtem Leistungsdruck und zur Zunahme unbezahlter Arbeit. Zwar sei die Anzahl der durchschnittlichen Wochenstunden pro Erwerbstätigen in den letzten Jahren gesunken; dies sei jedoch auf die Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse zurückzuführen. Eine Arbeitszeitverkürzung (AZV) stelle einen wichtigen Aspekt zur Erhöhung der Lebensqualität dar.
Carina Altreiter und Franz Astleithner (Uni Wien) behandelten das Thema Arbeitszeit aus einer soziologischen Perspektive und gingen hauptsächlich auf die emanzipatorischen Potentiale einer AZV ein. Sie wiesen darauf hin, dass unsere heutige Auffassung von Zeit ein soziales Konstrukt sei, dass sich im Rahmen der Industrialisierung durchgesetzt hatte. Der Übergang von einem zirkulären zu einem linearen Verständnis von Zeit hätte zu einer Verknappung und Bewirtschaftung von Zeit geführt. Die jeweilige Zeitordnung müsse als Spiegel gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse gesehen werden, in der es gewisse legitime und illegitime Formen der Zeitnutzung gebe. Angesichts der problematischen Ungleichverteilung von Zeitressourcen könnte eine AZV eine sinnvolle Maßnahme sein, um dieser Ungleichheit entgegenzuwirken (z.B. durch die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, Erleichterung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Zeit für Weiterbildung und zivilgesellschaftliches Engagement). Alreiter und Astleithner gingen insbesondere darauf ein, welche emanzipatorischen Potenziale, aber auch Risiken eine AZV hinsichtlich Geschlechtergerechtigkeit sowie sozialem Zusammenhalt und gesellschaftlichem Engagement birgt.
Susanne Haslinger (ProGe) diskutierte das Thema Arbeitszeit aus einer gewerkschaftlichen Perspektive mit Fokus auf Österreich. Sie wies darauf hin, dass die durchschnittlich geleisteten Wochenarbeitsstunden für Vollzeitbeschäftigte mit 41,8 Stunden in Österreich fast die höchsten im EU-Vergleich sind. Die im Jahr 2013 geleisteten Überstunden im Ausmaß von 270 Mio. würden rein rechnerisch rund 180.000 Vollzeitäquivalenten entsprechen. Umfragen zufolge würden über 60% der Beschäftigten über steigenden Zeitdruck und höhere Flexibilitätsanforderungen klagen. Haslinger berichtete zudem über die Freizeitoption als Möglichkeit einer AZV. Dieses 2013 erstmals im Rahmen des Kollektivvertrags für die Elektro-/Elektronikbranche eingeführte Instrument ermöglichte es Beschäftigten, sich zwischen einer ca. 3%igen Lohn-/Gehaltserhöhung oder zusätzlicher Freizeit im Ausmaß von 5 Stunden pro Monat oder 60 Stunden pro Jahr zu entscheiden.
Im Anschluss an die Inputs wurden in drei Kleingruppen spezifische Themenbereiche mit den Ressourcepersonen diskutiert und vertieft.
In der von Norbert Reuter geleiteten Gruppe wurden verschiedene Vorschläge erarbeitet, wie eine Arbeitszeitverkürzung zu einem guten Leben beitragen kann. Zunächst sollte es zu einem Abbau von Überstunden kommen, indem Steuerbegünstigungen gestrichen werden und ein Zuschlag von ArbeitgeberInnen erhoben wird. Darüber hinaus wäre eine Neuverteilung von Einkommen, Vermögen und Arbeit zu begrüßen. Als konkrete Maßnahmen in diesem Zusammenhang wurden die Einführung bzw. Erhöhung von Mindestlöhnen sowie die Begrenzung der Einkommensspreizung (Höchsteinkommen dürfen z.B. höchstens das zwölffache des Mindestlohnes betragen).
Die von Susanne Haslinger, Matthias Nocker und Stefanie Gerold geleitete Gruppe diskutierte hauptsächlich, welche Umstände sich unterstützend bzw. hinderlich auf eine AZV auswirken und welche Möglichkeiten und Risiken mit der Freizeitoption als Beispiel einer AZV verbunden sind. Als mögliche Gefahren wurden eine Arbeitsverdichtung und potentiell negative ökologische Auswirkungen genannt. Im Kontext einer generellen Restrukturierung der Arbeitswelt wurde die Freizeitoption aber als sinnvolles Instrument betrachtet. Zudem wurde auch kritisch darüber diskutiert, welchen Stellenwert (Erwerbs-)Arbeit und Freizeit in unserer Gesellschaft haben. Während Erwerbsarbeit eine hohe gesellschaftliche Integrationsfunktion zukomme und es sozusagen „schick“ sei, im Stress zu sein, werde Arbeitslosigkeit oft als Schande erlebt. Es gebe also gesellschaftlich legitime und illegitime Formen der Zeitverwendung; hier sei ein Wertewandel notwendig, sodass Tätigkeiten jenseits der Erwerbstätigkeit aufgewertet werden. Zudem wüssten viele Beschäftigte auch nicht, was sie mit zusätzlicher Freizeit anfangen könnten. In diesem Zusammenhang müssten kürzere Arbeitszeiten verstärkt „erlebbar“ gemacht werden, wofür die Freizeitoption eine gute Möglichkeit biete.
Die Kleingruppe mit Carina Altreiter und Franz Astleithner einigte sich darauf, dass eine Neubewertung von Arbeit notwendig sei: Arbeit müsse eine Existenzsicherung ermöglichen, sinnstiftend sein und zur Bedürfnisbefriedigung beitragen. Zudem brauche es eine Neuverteilung der gesellschaftlich notwendigen (auch unbezahlten) Arbeit. Für die genannten Punkte sei eine Bewusstseinsveränderung notwendig; zudem stelle sich die Frage, ob gute Arbeit für alle unter der Prämisse kapitalistischer Produktionsverhältnisse möglich sei. Ein Wandel könnte möglicherweise durch eine „historisch günstige Situation“ erleichtert werden. Zudem brauche es Räume für kulturellen Austausch und die Bildung von Allianzen. Bei alldem sollten jedoch ökologische und soziale Aspekte immer zusammengedacht werden.
Nach der Präsentation der Ergebnisse aus den Kleingruppen wurde der Fishbowl eröffnet. Unter der Moderation von Sebastian Schublach (Renner-Institut) hatten nun alle Workshop-TeilnehmerInnen nochmals die Möglichkeit, sich in die Diskussion einzubringen. Dabei wurde beispielsweise darauf hingewiesen, dass eine gleichere Einkommensverteilung möglicherweise als Voraussetzung für eine AZV betrachtet werden müsse. Von einigen DiskussionsteilnehmerInnen wurde darauf hingewiesen, dass eine AZV nicht ausreichend dafür sei, gute Arbeit für alle sicherzustellen, und dass ein bedingungsloses Grundeinkommen möglicherweise eine sinnvolle Alternative bzw. Ergänzung darstellen würde.
In einer abschließenden Synthese fasste Markus Marterbauer die Ergebnisse des Workshops zusammen. Er wies dabei auf die zentrale Bedeutung hin, die die gesellschaftliche Bewertung verschiedener Formen von Arbeit hat. Neben einer AZV würden eine gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen sowie soziale Absicherung wichtige Elemente guter Arbeit darstellen. Zudem dürften Machtverhältnisse, besonders im Hinblick auf Produktionsverhältnisse, Vermögensverteilung und demokratische Prozesse, nicht außer Acht gelassen werden.
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