Utopie willkommen: Gutes Leben für Alle
von Nadine Mittempergher
Am 20. und 21. Februar 2015 fand an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien ein Kongress statt, der Utopie zum Programm machte: „Das gute Leben für Alle“ In diesem Konzept stecke, so Andreas Novy (WU/Grüne Bildungswerkstatt), neben Wachstumskritik und Wohlstandsfragen auch die Frage nach globaler Gerechtigkeit.
Gutes Leben
Das Konzept des guten Lebens leitet sich von einer in der Andenregion entstandenen Idee ab, zusammengefasst unter dem Begriff „buen vivir“. Es ist eine Vision, die sich „under construction“ befindet und laufend von vielfältigen AkteurInnen diskutiert wird. So trugen auch gleich 25 Organisationen den Kongress, der etwa 700 Teilnehmende aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Spektren zusammenbrachte. Daher erörterten gänzlich unterschiedliche Gruppen – von VeganerInnen bis zu MilchbäuerInnen – drei Fragen, die sich als roter Faden durch den Kongress zogen: Was ist ein gutes Leben? Wie können wir es erreichen? Wer sind „wir“?
Für Alle?
Es ist vielleicht ungewöhnlich, bei einem Bericht mit dem letzten Vortrag zu beginnen. Aber beim „Gutes Leben für Alle“-Kongress haben „wir“ gelernt, Regeln und Konzepte zu überdenken. Ulrich Brand (Universität Wien) zog einen Vergleich zum Degrowth-Kongress in Leipzig und kam zum Schluss, dass der Konfliktcharakter des „Gutes Leben für Alle“-Konzepts in den vergangenen Tagen sehr deutlich geworden wäre. Das Modell ziehe viele verschiedene Interessen an und könne zu einer breiteren Debatte beitragen. Dies bedeute aber nicht, dass es unbedingt massentauglich gemacht werden müsse. Kulturelle, mentale Veränderungen seien immer von gesellschaftlichen Randgruppen ausgegangen. Von Interesse sei vor allem folgende Frage: Welche Faktoren führen von einer Ermahnung, weniger Fleisch zu essen und Auto zu fahren, bis zu dem Punkt, an dem Menschen sagen: „Es ist widerlich, Fleisch zu essen; es ist widerlich, Auto zu fahren“?
Beate Littig ergänzte Brands Rückblick mit dem Vorschlag, den nächsten Kongress „Alle für ein gutes Leben?“ zu betiteln, da alle sich die Frage stellen müssten, ob „wir wirklich bereit sind, unsere Gewohnheiten zu ändern?“ Littig hob zudem die Vielfalt der Teilnehmenden positiv hervor. Sie betonte, dass das von Barbara Unmüßig am Samstagvormittag angesprochene Thema Care bei anderen Kongressen oft zu kurz komme. Außerdem begrüßte sie die Mitarbeit von GewerkschafterInnen.
Sprung zurück an den Anfang: Wie ein gutes Leben erreichen?
„Wir tendieren dazu zu glauben, dass das gute Leben so ähnlich ist, wie wir leben. Das ist eine der Grundvorstellungen in unserem gesellschaftlichen Unterbewusstsein“, so Harald Welzer (Futurzwei) im Eröffnungsvortrag. Der Westen lebe eine Inselexistenz und externalisiere die Basis des materiellen Wohlstands. Daher sei die Vorstellung absurd, dass alle in so einer Externalisierungsgesellschaft leben könnten. Gleichzeitig könne sich niemand vorstellen, wie eine Zukunft aussehen könne, in der alle ein „gutes Leben“ führen. Der Weg hin zu dieser Vision sei konfliktreich. Es gehe um Macht und das Interesse vieler Menschen, den Status quo, gutes Leben für wenige, aufrecht zu erhalten. Daher sei die Debatte um das “gute Leben für Alle“ ein politischer Konflikt und eine radikale, aber konkrete Frage. Unmissverständlich nannte er drei unabhängige Variablen, die auf der Suche nach einem guten Leben für alle berücksichtigt werden müssten: Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Die Workshops, Diskussionen in den Pausen und auch Zwischenrufe während der Plenarteile zeigten, wie viele Emotionen an der Vorstellung eines guten Lebens für alle hängen. Im Plenum diskutierten nach Welzers Vortrag Marina Fischer-Kowalski (Institut für Soziale Ökologie, Universität Klagenfurt), Silvia Angelo (AK Wien) und Marlene Steeruwitz (Schriftstellerin) über die drei Fragen „Was ist ein gutes Leben? Wie können wir es erreichen? Wer sind „wir“?“ und kamen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Das Fazit des ersten Abends lautete: „Die Vorstellung darüber, was am Leben gut ist, ist sehr individuell.“
Ökonomisierung des Lebens vs. sozioökonomische Transformation
Am zweiten Tag ging Barbara Unmüßig (Heinrich Böll Stiftung) auf die Ökonomisierung des Lebens ein. In ihrem Vortrag knüpfte sie an Welzers Frage vom Vortag an: „Was hat der Kapitalismus für uns getan?“ Unmüßigs eindeutige Antwort: „Uns aufs Abstellgleis gesetzt!“. Der neue Boom der „Inwertsetzung“ von Natur unter dem Deckmantel der Green Economy unterfüttere die Vorstellung, der Mensch sei der ultimative Herrscher über die Natur. Biotechnologie und andere Forschungszweige könnten nur auf Basis demokratischer und transparenter Prozesse zu einer sozialökologischen Transformation beitragen. Die Tendenz gehe aber in eine ganz andere Richtung. Im Panel ergänzten Shalini Randeria (Universität Wien, Institut für die Wissenschaft vom Menschen – IWM), Elena Gerebizza (Re:Common) und Erich Folgar (ÖGB) Unmüßigs Vortrag mit weiteren Aspekten einer sozioökonomischen Transformation.
Gutes Leben für alle: Wohlfühlkonzept mit Sprengkraft
Am Samstagnachmittag fanden elf Workshops statt, die den vielfältigen Interessen der Teilnehmenden entgegen kamen. Parallel dazu konnten sich fast 60 Initiativen, von Foodcoops bis zu Sozialprojekten, im Rahmen einer eigenen Messe vorstellen und vernetzen. Die OrganisatorInnen Andreas Novy und Alexandra Strickner (Attac Österreich/Wege aus der Krise) gaben dem Publikum zum Abschluss die Gelegenheit, ihre Eindrücke zu teilen. Dabei wurde deutlich, dass das scheinbare Wohlfühlkonzept „gutes Leben für Alle“ politisch gedacht große Sprengkraft besitzt: Es bedeutet die radikale Umwälzung der Welt, wie wir sie kennen. Oder, angelehnt an Welzers Vortrag: Wir haben keine Vorstellung davon, was das „gute Leben“ ist, solange wir in altbekannten Kategorien denken.
Die Autorin arbeitet im Paulo Freire Zentrum.
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Dieser Artikel erscheint auch auf der Webseite der GBW Wien und der Webseite des Paulo Freire Zentrums!