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Hartmut Rosas Soziologie des guten Lebens
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Hartmut Rosas Soziologie des guten Lebens
Von: Andreas Novy
- Es ist das Verdienst Hartmut Rosas mit seinem neuen Buch Resonanz eine Soziologie des guten Lebens zu entwickeln; eine überfällige Aufgabe angesichts der offensichtlichen Schwierigkeiten, in unseren vermeintlich so reichen Gesellschaften gut zu leben. Statt das gute Leben auf das Verfügen über Ressourcen zu reduzieren und mit dem Bruttosozialprodukt zu messen, verortet Rosa das Kriterium gelingenden Lebens in resonanten Weltbeziehungen; d.h. in Beziehungen, die „etwas zum Schwingen bringen“, Bedeutung haben, sei dies der Geruch des Lieblingsgerichts, der Blick auf die Berge, Freunde, ein Lied, das Erinnerungen weckt. Vereinfacht, aber nicht falsch, versucht Rosa, den Blick weg von Quantitäten, von Mehr und Schneller hin zur Qualität von Beziehungen, Fühlen, Riechen, Hören zu lenken. Sein statt Haben, wie dies Erich Fromm formulierte. But zu leben beruht auf resonanten Weltbeziehungen, in denen die Welt, Menschen, Natur einem „etwas sagen“.
Doch wendet sich Rosa ausdrücklich gegen die moderne Tendenz, die Frage nach dem guten Leben zu privatisieren und verortet diese stattdessen im Kontext aktueller Dynamiken von Beschleunigung und Wettbewerb. Institutionen und Infrastrukturen legen den Spielraum gelingenden Lebens fest, wobei Rosa ein zentrales Problem in der Besessenheit mit „Weltreichweitenvergrößerung“ verortet. Es ist das moderne Versprechen von Autonomie, Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit, das Freiheit darauf reduziert, möglichst viele Möglichkeiten zu haben. War dies im 19. Jahrhundert ein radikal emanzipatorisches Konzept für den Sohn des Schmieds, der studieren wollte, für die Magd, die in die Stadt ziehen wollte, so kippt heute die Möglichkeit, Neues zu erkunden, oftmals in einen Zwang grenzenloser Steigerung, Beschleunigung und Optimierung. Der Preis dieser entgrenzten Globalisierung ist der Verlust von Beziehungsqualität.
„Andererseits aber zielen die unter dem Schlagwort Globalisierung verhandelten politischen Foren und Programme, TTIP zum Beispiel, auf Ausdehnung der extensiven Reichweite politischer Regulierung und damit auf die weitere Dynamisierung der Geld-, Kapital-, Waren- und Informationsströme im globalen Rahmen. Die politisch erreichbar gemachte Welt droht den politischen Subjekten dabei auf ganz ähnliche Weise zu verstummen wie die Natur. Denn sie verlieren den Gestaltungsraum für die Erfahrung kollektiver Selbstwirksamkeit und resonanzseniblen Zusammenwirkens. Wenn Welt, wie Hannah Arendt meint, erst durch das solidarisch-diskursive und deliberativ-demokratische politische Zusammenhandeln entsteht, wenn nur so die schweigende ´Wüste´ in menschliche – das heißt: antwortende - Welt verwandelt werden kann, dann geht diese politische Reichweitenvergrößerung mit einem progressiven Weltverlust einher, dessen Symptome sich nicht nur in Demokratiekrise, Wahlmüdigkeit und Wutbürgertum, sondern auch in Akten der Entsolidarisierung zeigen, wie sie sich in der Behandlung der sozial, das heißt steigerungsfunktional ´Überflüssigen´ etwa an den Außengrenzen Europas, aber auch innerhalb der Wohlstandszonen am Umgang mit Kranken und Gefangenen, Prekarisierten und Exkludierten beobachten lassen“ (Rosa 2016: 714).
Rosa leugnet nicht, dass die moderne kapitalistische Weltwirtschaft die individuellen Freiheitsgrade vieler Menschen erhöht hat. Nicht nur Wohlstand, Massenkonsum und Lebenserwartung stiegen, der wissenschaftliche Fortschritt erleichtert, ein gelungenes Leben zu führen, Freizeit zu genießen und Mühsal zu verringern. Doch heute ist die dynamische Stabilisierung zu einem Sachzwang wachsender Konkurrenz und unablässiger Beschleunigung geworden.
„Das umgekehrte Verhältnis, nämlich die Einrichtung ökonomischer Verhältnisse nach Maßgabe der Qualität von Weltbeziehungen, lässt sich nur realisieren, wenn es uns gelingt, das Marktgeschehen und den Konkurrenzkampf wieder in das soziokulturelle Leben der Gesellschaft einzubetten. Mit anderen Worten: Ohne eine Zähmung oder, mehr noch: Ersetzung der ´blindlaufenden´ kapitalistischen Verwertungsmaschinerie durch wirtschaftsdemokratische Institutionen, welche die Entscheidungen über Produktionsziele ebenso wie über Produktionsformen und –mitteln an die Maßstäbe gelingenden Lebens zurückzubinden vermögen, wird sich eine resonante Form der institutionalisierten Weltbeziehung nicht realisieren lassen. Das bedeutet nicht, dass es für Markt und Konkurrenz keinen Raum geben könnte – es bedeutet nur, dass dieser Raum konstitutiv und in manchen Hinsichten radikal beschränkt sein, dass er politisch ausgewiesen werden müsste.“ (Rosa 2016: 726).
Die Soziologie des Guten Lebens, die Rosa auf über 800 Seiten darlegt, stärkt also die These, die für Karl Polanyi und John M. Keynes nach dem Desaster von Wirtschaftskrise, Faschismus und Krieg offensichtlich war: dass ohne selektive wirtschaftliche Deglobalisierung kein gutes Leben für alle möglich ist. Die Begrenzung von Märkten und Kapitalbewegungen ist für sich keine Lösung, wohl aber erleichtert sie es, vor Ort den Wachstums- und Beschleunigungszwang zu brechen. Hartmut Rosa bietet keine Patentlösung – und das ist gut so, kennt doch niemand die Konturen eines Gemeinwesens, das allen ein gelungenes Leben ermöglicht. Tatsächlich bedarf es einer pluralistischen Lern- und Suchbewegung, um geeignete Institutionen und Infrastrukturen zu schaffen, die diese Transformation anstoßen. Nur eines ist für Rosa gewiss, und muss angesichts aktueller, reaktionärer und antiaufklärerischen Tendenzen festgehalten werden:
„Eine Postwachstumsgesellschaft in meinem Sinne bleibt daher dem normativen Projekt der Moderne insofern treu, als sie sich notwendig als liberal, demokratisch und pluralistisch verstehen muss.“ (Rosa 2016: 728).
Andreas Novy leitet das Institute for Multi-Level Governance and Development an der Wirtschaftsuniversität Wien und ist einer der Organisatoren des Guten Leben für alle Kongresses vom 9.-11. Februar an der WU.
Rosa, Hartmut (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehungen. Berlin: Suhrkamp.
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Kommentar von Robert Lackner |
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