Mit der sozialökologischen Transformation die Ökonomisierung des Lebens aufhalten

v.l.n.r.: Elena Gerebizza, Shalini Randeria, Andreas Novy, Barbara Unmüßig, Erich Foglar (Fotocredit: GBW.at)

von Meike Siegner

Vom 20. bis 22. Februar fand der „Gutes Leben für alle“ Kongress an der Wirtschaftsuniversität Wien statt. Barbara Unmüßig eröffnete als Hauptvortragende den zweiten Tag der Veranstaltung mit einem Vortrag über die Ökonomisierung des Lebens.

 

Das Audimax füllte sich am Samstagmorgen langsam mit Leben und Andreas Novy (WU/Grüne Bildungswerkstatt) begrüßte all jene Zuschauer, die den Vortrag per Livestream verfolgten, gut gestimmt mit der Aussage: „Lassen Sie sich ihr Frühstück zu Hause gut schmecken!“ In seiner Begrüßungsrede betonte er, dass es am zweiten Tag insbesondere um die demokratische Organisation eines guten Lebens für alle, im Sinne sozialökologischer Wohlfahrstaatlichkeit gehen soll. Novy bat zu diesem Zweck Barbara Unmüßig (Heinrich Böll Stiftung) für ihren Vortrag zum Thema „Wider die Ökonomisierung des Lebens – Leitplanken und Fallstricke der sozialökologischen Transformation zum Guten Leben für alle“ auf die Bühne.

Das Verlangen nach einer besseren Welt

Unmüßig verortete den Wunsch nach einem „guten Leben für alle“ in Bezug auf das globale Geschehen. „Wir tun dies aus einer privilegierten Position heraus“, konstatierte sie für den Westen. Handlungsräume in autoritären Regimen seien hingegen begrenzt. In Ländern wie China und Russland werde den Menschen Wohlstand ohne Freiheit zugestanden. Sie verwies jedoch ebenso auf den neu erschienenen Armutsbericht des paritätischen Wohlfahrtsverbandes und jenen Bevölkerungsanteil der Industrienation Deutschland, der ein Dasein unterhalb der Armutsgrenze friste. Das gute Leben für alle sei vor allem Ausdruck des Verlangens nach einem Ende von Armut, Elend und Ungerechtigkeit und nach einer besseren Welt, fuhr sie fort. Was es brauche, sei die verstärkte Politisierung negativer Externalisierungseffekte. Etwa in Bezug auf Formen neuer Landnahme zur Erzeugung unserer Nahrungsmittel. Den Fleisch- und auch den Bodenatlas der Heinrich Böll Stiftung beschrieb sie hierfür als gelungene Beispiele, weil diese es bis auf die Schreibtische von VertreterInnen der Bauernverbände geschafft hätten. „Damit pisacken wir diejenigen, die Privilegien aufgeben müssen“, betonte sie. 

Bioökonomie“ als Kernproblem neuer Aneignung von Natur

Unmüßig verwies darauf, dass das Ziel zukunftsgerechten Wohlstands innerhalb der planetaren Grenzen und ein Verständnis von Wissen als frei zugängliche Ressource, durch den Einfluss großer Lobbies bedroht seien. Fehlende radikale Obergrenzen für Müll und Emissionen aller Art seien auch das Resultat der zunehmenden Unternehmensmacht der letzten Jahrzehnte. Als Kernproblem aktueller Business- und Reformkonzepte für Nachhaltigkeit beschrieb Unmüßig die Entwicklung einer „Bioökonomie“. Dies sei ein Überbegriff für die Suche nach Alternativen zum Erdöl, mit der neue Formen von Kapitalverwertung einhergehen. „Wir erleben unter dem Deckmantel eines Ausstiegs aus der fossilen Agenda einen neuen Boom von Inwertsetzung der Natur“, äußerte sie beunruhigt. Der Wunschtraum der Biotechnologie, ein Instrument zur Abwehr des drohenden Klimawandels und als Garant für Treibstoffe und Nahrungssicherheit zu sein, führe zur Bildung neuer Monopole und der Privatisierung von Wissen. „Ich bin nicht innovationsfeindlich!“, stellte sie klar. Es sei jedoch notwendig, diese Entwicklungen kritisch zu beobachten und zu fragen: „Wem nützt das? Welche Schäden richten wir an und wie kann reguliert werden?“

Die Sorgearbeit (care) in einer tiefen Krise

„Bioökonomie“ betreffe auch die Kommerzialisierung des Körpers, beschrieb sie und nannte als Beispiel das wachsende Reproduktionsbusiness im globalen Süden. Die Leihmutterschaft in Indien steige beständig an, so Unmüßig. Dahinter stecke eine Paradoxie, weil das Versprechen von mehr Freiheit und Selbstbestimmung über den eigenen Körper auf dem Rücken der armen Weltbevölkerung erfüllt werde. Ähnlich beunruhigend sei die zunehmende Externalisierung der Sorgearbeit, etwa durch den Einsatz von Frauen aus Osteuropa für die Pflege unserer Angehörigen. Dort blieben Frauen kinderlos und Kinder ohne Mütter, weil sie unsere alternde Bevölkerung betreuen, kritisierte sie. Das Thema care sei ein blinder Fleck in den meisten Transformationsagenden und gehöre neu strukturiert. Die Sorgearbeit befände sich in einer tiefen Krise, nicht zuletzt durch die schlecht bezahlte und taylorisierte Arbeitsweise unseres Pflegepersonals, in der jede Leistung in Preisen ausgedrückt werde. Ungleiche Geschlechterverhältnisse kämen in diesem weiblich dominierten Sektor stark zur Geltung. Frauen müssten, trotz ihrer Berufstätigkeit, hohe Wohlstandsverluste in Kauf nehmen, äußerte Unmüßig. 

Der „peer-to-peer state“ als Ausweg

Es brauche daher systemische Veränderungen, hin zu einem Partnerstaat, schlussfolgerte Unmüßig. In einem solchen „peer-to-peer state“ würden die BürgerInnen eine Partnerschaft mit der öffentlichen Hand eingehen und könnten sich aus dem Privatisierungsdruck befreien, beschrieb sie. Eine aktive Zivilgesellschaft habe als Voraussetzung für drei wesentliche Aspekte zu sorgen. Erstens die Bildung strategischer Allianzen, um gegen eine „braune“ fossile Agenda zu kämpfen. Zweitens brauche es gezielte Informationsarbeit, um über die negativen Folgen einer „Bioökonomie“ zu informieren. Drittens sei es für NGO´s und andere kritische Institutionen unerlässlich, sich bewusst zu machen, dass sie mit dem Wettrennen um Geldtöpfe ebenso Teil der Wachstumslogik sind. Nur mit diesem Bewusstsein, könnten Handlungsspielräume für diese AkteurInnen offen bleiben.

Die Doppelrolle des Staates

Anschließend diskutierte Unmüßig mit Shalini Randeria (IWM), Elena Gerebizza (Re:Common) und Erich Foglar (ÖGB) auf dem Podium. Randeria ergänzte den Vortrag mit einigen Anmerkungen zu der Doppelrolle des Staates. Dieser sei, ähnlich zu den Hauptdarstellern älterer Bollywood-Klassiker, Gegner und Verbündeter zugleich, betonte Randeria humorvoll. Staaten gäben sich schwächer als sie tatsächlich sind, weil der Wille für das Gemeinwohl oft fehlen würde. Verantwortung werde auf internationale Organisationen abgewälzt und zwischen AkteurInnen hin und her geschoben, kritisierte sie. Für BürgerInnen werde es dadurch immer schwerer, Protest gezielt zu adressieren.

Gerebizza schloss in Bezug auf Finanzmärkte bei dem Argument an und verwies auf die Notwendigkeit strikter Regulierungen und strategischer Allianzen, da Finanzmärkte einen zu großen Einfluss auf die Organisation von Staaten und Gesellschaften hätten. In Bezug auf die Doppelrolle des Staates vertrat Foglar eine gegenteilige Ansicht. Er betonte am Beispiel Griechenlands, dass demokratisch gewählte Regierungen sich oft nur schwer gegen GläubigerInnengruppen und Lobbies behaupten könnten. Teilweise sei der Staat tatsächlich handlungsunfähig. Unmüßig betonte abschließend noch einmal die Notwendigkeit, den Staat insbesondere in liberalen Demokratien wieder stärker vorwärts zu bringen. Staaten seien durchaus Teil des Wachstumszwangs, stünden dabei aber auch unter großem Lobbydruck. Für BürgerInnen gelte es daher, AkteurInnen noch klarer zu benennen und für die Gesellschaft negative Interessen gezielt zu attackieren.

Die Autorin studierte Sozioökonomie an der WU und ist Mitglied im Redaktionsteam der GBW Wien.

Dieser Artikel erscheint auch auf der Webseite der GBW Wien und der Webseite des Paulo Freire Zentrums!
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